Frage: Herr Rauchfuß, wie rüsten Sie die deutschen Handball-Schiedsrichter für ihre schwere Aufgabe?
Peter Rauchfuß:
Der Schiedsrichterjob ist eine Stunde lang Stress. Wenn ich aber die Stressfaktoren kenne, kann ich mich auf sie einstellen. Und dann wird es weniger. Deshalb legen wir großen Wert auf eine gute Vorbereitung und ein passendes Umfeld. Ein Schiedsrichter sollte sich zum Beispiel möglichst einen Freundeskreis zulegen, der nicht aus dem Schiedsrichterbereich kommt. Stress kann ich nur abbauen, wenn ich mich nicht immer nur mit denselben Dingen beschäftige.

Arbeiten Sie bei der Schiedsrichterausbildung auch mit Psychologen?
Rauchfuß:
Das Feld der Schiedsrichter ist in der Sportpsychologie noch fast unberührt. Das ist eine völlig andere Seite als die der Spieler oder Mannschaften, aber es gibt nur wenige Psychologen, die sich mit der Sache beschäftigen. Derzeit führt das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft Leipzig eine medizinische Untersuchung mit unserem Elitekader durch. Es misst die Herzfrequenz der Schiedsrichter während eines Spiels. Die Ergebnisse sollen zeigen, wie die Erregungsstufen bei komplizierten Entscheidungen sind. Auf Basis dieser Daten wollen wir ein Anforderungsprofil für Spitzenschiedsrichter entwickeln und gewisse Ausbildungsteile verändern, um die Leute noch besser steuern zu können.

Es gibt Schiedsrichter, die behaupten, dass Sie die Einflüsse von außen gar nicht wahrnehmen.
Rauchfuß:
Das stimmt so nicht. In der medialen Vorbereitung bleibt den Schiedsrichtern nichts vorenthalten. Sie nehmen das in sich auf, sie bereiten sich innerlich auf diese Aufgabe vor. Aber sie haben dann den besonderen Tick, dass sie mit dem Anpfiff eine ganze Menge abstreifen und sich nur noch auf die Geschehnisse konzentrieren.

Rauchfuß: Je mehr Zuschauer es gibt, desto stärker nimmt ihr Einfluss ab. Es ist ein Riesenunterschied, ob 10.000 Zuschauer die Schiedsrichter auspfeifen oder ob ein Spiel vor zwölf Eltern stattfindet und ein Einzelner die Schiedsrichter eine Stunde lang schlecht macht. Das bringt sie eher von ihrer Linie ab, weil sie möglicherweise auf die Zurufe reagieren und dabei vergessen, dass sie eigentlich eine ganz andere Aufgabe haben.

Einflüsse kommen nicht nur von den Tribünen, sondern auch von den Trainerbänken.
Rauchfuß:
Kürzlich ist uns bei einer sehr offenen Aussprache mit Bundesligatrainern offenbart worden, dass die Trainer versuchen, die Schiedsrichter in den ersten fünf Minuten mithilfe von Gestik und Mimik auf ihre Seite zu ziehen. Denn zu Beginn eines Spiels versuchen die Schiedsrichter oft, eine Linie vorzugeben, die sie das ganze Spiel über durchziehen wollen. Das ist ja auch richtig. Schiedsrichter sollen immer berechenbar sein. In unseren Lehrgängen ist die einheitliche Regelauslegung über alle 15 Schiedsrichterpaare hinweg mit das wichtigste Thema.

Der Verband bewertet die Leistungen der Schiedsrichter permanent und entscheidet, wer in den Elitekader darf. Macht das die Schiedsrichter noch nervöser?
Rauchfuß:
Das kann eine Rolle spielen. Aber unsere Leute haben nicht so viele Befürchtungen. Bei uns steigt jetzt zum ersten Mal nach drei Jahren wieder ein Paar aus dem Elitekader ab. Zuletzt waren die möglichen Aufsteiger aus dem B-Kader nicht besser. Dann haben wir uns lieber für diejenigen mit mehr Erfahrung entschieden.

Die Regeln richtig auszulegen, dürfte vielen gelingen. Aber was macht einen richtig guten Schiedsrichter aus?
Rauchfuß:
Es geht vor allem darum, wie ich mein Spiel verkaufe. Was nützt es einem Bäcker zu sagen, er backe das beste Brot der Welt, aber keiner kauft es? Genauso ist es mit einem Schiedsrichter, der glaubt, richtig gepfiffen zu haben, aber die Öffentlichkeit nimmt nur die Fehler wahr. Dann muss er auch mal bei sich suchen, denn dann hat er seine Entscheidungen hundertprozentig falsch verkauft.

Und wie verkauft er sie richtig?
Rauchfuß:
Vor allem über Körpersprache. Die Haltung sollte eine gewisse Anspannung haben. Die Stärke eines Fouls sollte sich im Blickfeld des Gesichts widerspiegeln. Man kann einem Spieler auch mit einem scharfen Blick zu verstehen geben, dass seine Aktion nicht in Ordnung war. Das schlimmste wäre, eine Entscheidung mit einem Lächeln zu verbinden. Ich habe noch keinen Richter gesehen, der ein Urteil verkündet und dabei gelacht hat.

Bilden Sie die Schiedsrichter in ihrer Körpersprache aus?
Rauchfuß:
Ja, wir analysieren die Körpersprache anhand von Videoaufzeichnungen. Die Schiedsrichter sollen auch viel vor dem Spiegel arbeiten. Sie müssen selbst sehen, wie sie sich verkaufen. Es gibt Tage, an denen Leute zu mir sagen: Du guckst heute aber finster. Obwohl ich innerlich gelöst bin. Dann muss ich mir meine Körpersprache mal in einem Spiegel anschauen. Dort sind immer Ansatzpunkte, an denen man arbeiten kann.

Einige Schiedsrichter wirken mit ihrer strengen Gestik und Mimik aber auch arrogant.
Rauchfuß:
Was als arrogant rüberkommt, ist oft eine nach außen dargestellte Unsicherheit. Ein Schiedsrichter, der eine Entscheidung mit vollem Bewusstsein trifft, wird das mit einer gewissen Anspannung tun, aber nie arrogant wirken.

Sollten die Schiedsrichter trotz aller Anspannung manchmal lockerer auftreten?
Rauchfuß:
Wir empfehlen den Schiedsrichtern, eine gewisse Kommunikation mit den Spielern und Trainern zu führen, um in einer entspannten Art Verständnis für Entscheidungen zu schaffen. Wichtig ist vor allem, dass die Schiedsrichter ihre Aufgabe mit Freude angehen. Wir haben ein Schiedsrichterpaar, dem oft Arroganz nachgesagt wurde. Das Problem der beiden war, dass sie die Sache zu ernst nach außen vermittelt haben. Ich habe ihnen gesagt, dass sie ihre Spiele lockerer angehen sollen, dass sie die Freude über ihre Aufgabe auch den Spielern vermitteln sollen. Wenn Freude und Lockerheit da sind, dann geht eine ganze Menge von alleine.

Das Gespräch führte Volker Schulte.

BeschrSchrif


Quelle: sportschau.de